Ein wichtiger Bestandteil in der Umsetzung des Entwicklungsprojektes „Agile-goes-Nonprofit“ ist die Durchführung von Interviews mit Organisationen, die an einer Mitwirkung des Projektes interessiert sind. Ziel dieser Interviews ist es, einen tieferen Einblick in die Arbeitsweisen der NGOs zu erhalten. Die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse helfen dabei, schon existierende Best Practices zu erfassen.
Auf der agilen Landkarte wurden die befragten NGOs bereits als implizit oder explizit agil arbeitend eingestuft. Eine Definition für implizit bzw. explizit agil-arbeitende Organisationen sowie die Landkarte mit 118 NGOs finden Sie im Beitrag Agile Landkarte.
Je nach Einstufung der interviewten Organisation, wurde sich in der Durchführung der Interviews an zwei verschiedenen Leitfäden orientiert. Grundsätzlich setzten sich aber alle Interviews aus drei relevanten Fragekomplexen zusammen: Fragen zu aktuellen Arbeitsstrukturen und -prozessen (Best Practices), zu neuen Arbeitsweisen bzw. zu agiler Arbeit und zum Kompass Agile NGO.
Um Ihnen einen Einblick in die Erkenntnisse der Interviews zu ermöglichen, werden in diesem Beitrag „Best Practices“ aus drei NGOs exemplarisch dargestellt. Dabei handelt es sich um die Organisation GoVolunteer und die Deutsche Umweltstiftung, die bereits thematisiert agile Methoden nutzen und um den Verein ANU Brandenburg, in dessen Arbeitsweise das agile Mindset bereits einfließt.
An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ausdrücklich bei allen Interviewpartner*innen für die Zusammenarbeit bedanken. Mit der Durchführung der Interviews leisten Sie ein wichtigen Beitrag zur Verwirklichung unseres Projektes.
GoVolunteer (explizit agil)
GoVolunteer ist eine Helfer*innen-Community. Grundsätzlich geht es ihnen darum, die Vermittlung und Durchführung eines Ehrenamtes so leicht wie möglich zu machen. Auf ihrer Online-Plattform können sich gemeinnützige Projekte und Organisationen vorstellen – ehrenamtliche Interessent*innen bekommen so einen guten Überblick über die Engagement-Möglichkeiten in ihrer Region. Durch Öffentlichkeitsarbeit versuchen sie das ehrenamtliche Engagement, vor allem in der jungen Generation, zu fördern.
Best Practice (Strukturen und Prozesse)
Die Organisationsstruktur setzt sich aus aus 3 Ebenen zusammen: Einem Gründerteam, den Teamleiter*innen und den Teams mit Ehrenamtlichen und Praktikant*innen. Insgesamt arbeiten 9 Mitarbeiter*innen hauptamtlich bei GoVolunteer. Entscheidungsprozesse gestalten sich teilweise sehr kollaborativ und nicht nach dem „Top-Down“-Prinzip. Strategische Entscheidungen werden von hauptamtlichen Mitarbeiter*innen getroffen, gegebenenfalls aber auch in Absprache mit Ehrenamtlichen. Auf operativer Ebene herrschen Handlungsfreiheiten: Alle 6 Wochen werden Ziele festgesetzt – wie diese erreicht werden, ist die Verantwortung des Einzelnen.
Die Teams setzen sich aus 2-4 Personen zusammen. Es gibt mindestens ein Teammeeting pro Woche und auch die Teamleiter*innen treffen sich einmal die Woche. Dazu kommen themenbezogene Meetings und tägliche „Check-in Calls“ für die Tagesplanung.
Die genutzten digitalen Werkzeuge im Arbeitsalltag setzen sich wie folgt zusammen: Slack für die Kommunikation, Google Drive für die Wissensspeicherung und Dokumentation und Asana für die Prozesserstellung, Zuweisung von Aufgaben und digitale „to-do“-Pflege.
Die Mitarbeiter*innenzufriedenheit wird mithilfe einer wöchentlichen Umfrage sichergestellt, die gleichzeitig die Möglichkeit für Kommentare und Anmerkungen der Mitarbeiter*innen bietet.
In puncto Organisationsentwicklung haben Innovationen einen hohen Stellenwert. Es besteht stetiger Innovationsbedarf und das Interesse, Prozesse dauerhaft zu optimieren. Entwicklungsanstöße werden vom „Team Development“ gesammelt und weiter verwertet. Ehrenamtliche können sich mit Ideen an die Teamleitung wenden. Ideen werden nicht nur delegiert, die Initiator*innen tragen auch die Verantwortung.
In puncto Kompetenzentwicklung gibt es keine externen Weiterbildungsmöglichkeiten wie in größeren Unternehmen. Aber: Die Organisation arbeitet übergreifend. Das Bedeutet, dass jede*r Mitarbeiter*in die Möglichkeit hat, sich Aufgaben außerhalb des vorgegebenen Aufgabenprofils zu suchen, um sich weiterzuentwickeln.
Agile Arbeitsweisen in der Organisation
Mehrere agile Methoden finden bei GoVolunteer bereits Anwendung. Dazu zählen Scrum, Design Thinking, Kanban und Check-In Calls. Scrum wurde von Mitarbeiter*innen vorgeschlagen und eingebracht, die bereits in anderen Start-Ups Erfahrungen mit der Methode gesammelt haben. Die Meetings im Scrumzyklus setzen sich wie folgt zusammen: Product-Meetings zum Brainstormen, Thema Insight, Design Sprints, Anforderungen, Planning, Review. Insgesamt wurden Veränderungen in den Arbeitsweisen immer positiv wahrgenommen.
Deutsche Umweltstiftung (explizit agil)
Die Deutsche Umweltstiftung wurde am 31. März 1982 in Mainz von 450 Personen aus Wissenschaft, Politik, Medien und Umweltbewegung gegründet, darunter Erhard Eppler, Günter Grass, Bernhard Grzimek und Horst Stern. Sie ist eine gemeinnützige Bürgerstiftung, die unter dem Stiftungsmotto „Hoffnung durch Handeln“ Initiativen im Bereich des praktischen Umweltschutzes und der Förderung des Umweltbewusstseins umsetzt. Die Deutsche Umweltstiftung gilt als eine der ältesten Bürgerstiftungen und wird von mehr als 3.500 Stiftern unterstützt. Sie ist ungebunden, politisch und wirtschaftlich unabhängig. Die Projekte finden schwerpunktmäßig im Bereich Umweltbildung, Verbraucheraufklärung sowie Förderung und Anerkennung von Engagement im Natur‑ und Umweltschutz statt.
Best Practice (Strukturen und Prozesse)
Die Organisationsstruktur setzt sich aus einem ehrenamtlichen Vorstand, festangestellten Mitarbeiter*innen und Praktikant*innen zusammen. Der Vorstandsvorsitzende ist geschäftsführender Vorstand. Vierteljährlich findet eine gemeinsame Sitzung des Vorstands und der festangestellten Mitarbeiter statt, in der die Strategie der Stiftung und die Projektfortschritte dokumentiert und besprochen werden. Im Dialog entsteht so die Weiterentwicklung der Projekte und klare Arbeitsaufträge und Ziele, die von den fest angestellten Mitarbeiter*innen eigenverantwortlich in den einzelnen Projekten umgesetzt werden können.
Innerhalb der Projekte gibt es regelmäßige Meetings, in denen Aufgaben vorgenommen werden. Die Projekte werden von einem/einer Projektleiter*in betreut, der gemeinsam mit dem Team Projektfortschritte erreichen und die Projektaufgaben und -ziele erfüllen soll. In wöchentlichen Zyklen finden sich die Projektteams in einem Planungsmeeting zusammen und besprechen die Aufgaben der kommenden Woche. Täglich finden zudem morgendliche „Dailys“ statt, in denen Status-Updates besprochen werden um zu überprüfen, welche Aufgaben erledigt wurden, welche Aufgaben anstehen und wo es ggf. Hindernisse gab. Am Ende der Woche findet zusätzlich ein Reviewmeeting statt.
Die genutzten digitalen Werkzeuge im Arbeitsalltag setzen sich wie folgt zusammen: Jira für die Aufgabenverfolgung, in den Projektteams in der Regel das Scrum-Board oder das Kanban-Board. Confluence für die Wissensspeicherung, d.h. das personenbezogene Wissen. Dokumente und Informationen, die personenunabhängig sind, werden auf einem Cloudsystem gespeichert.
Die Mitarbeiter*innenzufriedenheit wird gewährleistet, durch das Angebot sich jederzeit an den/die Projektleiter*in wenden zu können. Zusätzlich werden in einem Orientierungsgespräch Anliegen der Mitarbeiter zu Arbeitsschwerpunkten und eigenen Interessen erörtert. Auch zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und den hauptamtlichen Mitarbeitern*innen finden halbjährliche Gespräche zu Zielvorgaben und Befindlichkeiten statt.
Hauptamtliche Mitarbeiter haben die Möglichkeit sich durch eigene Vorschläge in die Organisationsentwicklung einzubringen. Durch die häufig fluktuierenden Teams (ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und Praktikanten*innen) werden immer wieder neue Kernprofile und Kompetenzen in die Organisation eingebracht. Diese haben somit ebenfalls einen Einfluss auf die Änderung von Arbeitsprozessen oder das Anstoßen neuer Ideen.
In der Deutschen Umweltstiftung besteht weiterhin die Möglichkeit der Weiterbildung in Form von Seminaren für hauptamtliche Mitarbeiter*innen. Praktikanten*innen wird neben der Einarbeitung und dem Informationsaustausch mit hauptamtlichen Mitarbeitern*innen ermöglicht, sich an Webinaren zu beteiligen oder selbst interessante Veranstaltungen zu besuchen.
Agile Arbeitsweisen in der Organisation
Die Deutsche Umweltstiftung versteht unter agilem Arbeiten die Anpassungsfähigkeit auf unvorhergesehene Entwicklungen in Projekten zu reagieren. Dabei sind Transparenz in der Aufgabenverfolgung, Wissensspeicherung aber auch eine Selbstverpflichtung für das Team sehr wichtig. Die Projektleitung gibt die Aufgaben vor, doch das Team bestimmt über die Art und Weise der Umsetzung und hat somit einen großen Kreativraum, der die Qualität der Aufgaben erhöht und die Verbindung des Einzelnen zum Projekt stärkt. Das Jira Board zur Aufgabenverfolgung wurde vom Vorstand eingeführt und die Struktur, z.B. die Integration des Scrum-Aufsatzes, anschließend durch hauptamtliche Mitarbeiter*innen ergänzt. Das Einführen der agilen Arbeitsweisen ist eine stetige Entwicklung und bedarf dem fortlaufendem Einbringen von neuen Erfahrungen und Wissen. In Zukunft sollen weitere agile Methoden z.B. eine Aufwandsschätzung und auch ein KPI (Key performance index) für Aufgaben eingeführt werden. Die agilen Arbeitsweisen finden in der Deutschen Umweltstiftung vor allem in den Teamprojekten ihre Anwendung, andere Bereiche, wie zum Beispiel der organisatorische Büroablauf sind dafür bislang eher weniger geeignet.
ANU Brandenburg (implizit agil)
Die Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung Landesverband Brandenburg e.V. ist ein Dach- und Fachverband für außerschulische Umweltbildung im Land Berlin und Brandenburg. Der Verein bietet vielfältige und interaktive Bildungsveranstaltungen an und unterstützt Lehrende im Bereich Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung – über Fortbildungen, Beratung, Materialausleihe und mehr. ANU Brandenburg vernetzt Akteur*innen in Brandenburg und Berlin und ist eine Anlaufstelle für Austausch und Beratung. Der Landesverband hat aktuell ca. 142 Mitglieder.
Best Practice (Strukturen und Prozesse)
Die ANU Brandenburg beschäftigt eine hauptamtlich angestellte Geschäftsführung, zwei weitere Mitarbeiterinnen sind im Rahmen des beauftragten Projektes „Servicestelle BNE“ auch hauptamtlich angestellt. Der Vorstand besteht aus sechs ehrenamtlichen Mitgliedern, die gleichzeitig in Umweltbildungseinrichtungen tätig sind. Dadurch ist ein direkter Draht zur Zielgruppe und zu Akteur*innen sichergestellt. Die Hierarchien sind extrem flach, Kolleginnen und Geschäftsführung treffen Entscheidungen immer gemeinsam und holen sich das Einverständnis vom Vorstand. Die Geschäftsführung ist grundsätzlich sehr frei in ihren Entscheidungen und bekommt Ratschläge von Vorstandsmitgliedern. Zu vielen Themen gibt es Expert*innen im Vorstand, dieser hat also auch eine Beratungsfunktion inne. Auf operativer Ebene gibt es teilweise klare Zielvorgaben, größtenteils extern bedingt: Bspw. durch Projektanträge oder Anfragen und Wünsche der Mitglieder. Die Zusammenarbeit findet in relativ festen Teams statt, da die Struktur häufig durch die Projekte vorgegeben ist. Die Verantwortlichkeiten verteilen sich dann je nach Fachexpertise. Als interne wiederkehrende Absprache gibt es einen wöchentlichen Jour fixe. Dieser beinhaltet zum einen Organisatorisches , zum anderen Inhaltliches. Einmal im Quartal gibt es ein Treffen mit den Ministerien auf Landesebene, um Aufgaben und Arbeitsweisen zu reflektieren sowie diese ggf. anzupassen. Andere externe Treffen sind unregelmäßig, mit dem Vorstand wird sich nach Bedarf getroffen.
Zur Visualisierung der Arbeitsfortschritte wird bei jedem Jour fixe ein Protokoll fortgeführt. Die interne Kommunikation findet in erster Linie persönlich statt, ansonsten klassisch via E-Mail und auch übers Telefon, da eine Mitarbeiterin regelmäßig im Homeoffice arbeitet. Zur Unterstützung der Planung und Kommunikation werden als digitale Tools eine Cloud über Web.de sowie ein Google-Online-Kalender genutzt.
Für die Mitarbeiter*innenzufriedenheit gibt es keine Messinstrumente. In dem wöchentlichen Jour fixe wird neben der Besprechung von Aufgaben aber auch darüber geredet, wie es den Mitarbeiterinnen geht und wo Hilfe benötigt wird. Grundsätzlich unterstützt man sich gegenseitig.
In puncto Kompetenzentwicklung gibt es eine interne Vereinbarung, dass jede Person an mindestens einer Weiterbildung im Jahr teilnimmt. Welche Weiterbildung das ist, kann sich jede*r Angestellte selbst aussuchen. Auch für die Mitglieder des Vereins werden Weiterbildungen angeboten und von der ANU selbst durchgeführt. Die Inhalte der Weiterbildungen variieren, oft sind es thematische Weiterbildungen, die sich um die außerschulische Umweltbildung drehen. Es wird immer versucht, die Inhalte aus Weiterbildungen gleich umzusetzen und anzuwenden.
Neue Arbeitsweisen in der Organisation
Neben dem Jour Fixe gab es keine kürzlichen Änderungen in den Strukturen oder Arbeitsweisen der Organisation. Allerdings ist eine Entwicklung zu erkennen, nach der Beschlüsse immer häufiger zusammen im Team getroffen werden. Es ist zudem geplant, nach der Corona-Krise und den damit verbundenen Homeoffice-Bedingungen, ein kurzes tägliches Update, das sog. „Daily“, einzuführen.
Das Team ist jung und dementsprechend auch sehr offen und neugierig gegenüber neuen Arbeitsweisen. Weiterbildungen und auch die Einführung des Jour fixe werden positiv angenommen. Denn auch wenn dieser viel Arbeitszeit einnimmt, ist ein regelmäßiger Austausch unabdingbar.
Fazit
Aus der Gegenüberstellung der drei NGOs wird nachvollziehbar, warum diese als implizit bzw. explizit agil eingestuft wurden. Die ANU Brandenburg zeichnet sich bereits durch eine flexible Prozessgestaltung aus und erweist sich als anpassungsfähig und interessiert für agile Arbeitsweisen. Es gibt wöchentlich wiederkehrende Absprachen, Hierarchien in den Entscheidungsstrukturen sind flach und Mitarbeiter*innen bekommen je nach Fachexpertise Handlungsfreiheiten auf operativer Ebene zugeschrieben. Auch ist die Organisation daran interessiert, Kompetenzen ihrer Angestellten stetig weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu GoVolunteer und der Deutschen Umweltstiftung wurden allerdings noch keine expliziten agilen Methoden implementiert, dementsprechend finden beispielsweise Scrum oder Kanban keine Anwendung. Insgesamt ist auffällig, dass GoVolunteers und die Deutsche Umweltstiftung mit einer größeren Auswahl digitaler Tools arbeiten. Diese sind zentraler Bestandteil agiler Prozessgestaltung.
Implizit agil-arbeitende Organisationen wie die ANU Brandenburg stehen beispielhaft für NGOs, die den Kompass Agile NGO als Werkzeug nutzen können, um agile Methoden zunächst intern zu thematisieren und anschließend einzuführen. Die organisationsinternen Voraussetzungen für die Integration agiler Konzepte sind gegeben, allerdings fehlen Ressourcen und die notwendige Expertise. Der Kompass leistet in Form eines interaktiven Leitfadens Hilfestellung, um diese Hürden zu überwinden. Gleichzeitig fördert er mithilfe eines Botschafternetzwerkes den Erfahrungsaustausch zwischen expliziten Organisationen und Organisationen, die agile Arbeitsweisen noch nicht einsetzen. Es besteht damit die Möglichkeit, sich an bestehenden agilen „Best Practices“ zu orientieren.
In einem nachfolgenden Beitrag werden wir Ihnen weitere interessante Erkenntnisse aus den Interviews präsentieren. Thematisch geht es dabei zum einen um die besonderen Herausforderungen auf dem Weg zu mehr Agilität im gemeinnützigen Bereich, zum anderen um Vorschläge zur praxistauglichen Umsetzung des Kompass Agile NGO .